Verfasst von Dr. Helge Grünewald am 19. February 2016
Wer Philharmonie sagt, meint in der Regel den Großen Konzertsaal in dem 1963 nach den Plänen von Hans Scharoun eröffneten Gebäude am Kemperplatz – einen immer noch ungewöhnlichen und einmaligen Saal, der im Höchstfall etwa 2.420 Konzertbesuchern Platz bietet. Daneben gibt es den Kammermusiksaal der Philharmonie, der im November 1987 eröffnet wurde. Der manchmal auch als „kleine Philharmonie“ bezeichnete Bau mit einem Konzertsaal für maximal 1.220 Besucher entstand nach den Plänen des Scharoun-Schülers und –Mitarbeiters Edgar Wisniewski (1930 – 2007).
Wisniewski war ein streitbarer Geist, er focht unermüdlich für beide Bauten und für die Realisierung des Kulturforums. Er war ein künstlerisch vielseitiger Mensch – als Architekt und Planer, aber auch als Musikhörer und Sänger in einem Chor. Der reflektierende Zeitgenosse Wisniewski interessierte sich nicht nur für das Bauen sondern auch für dessen ästhetische, historische und philosophische Hintergründe. Mit seinem Lehrer Scharoun verband ihn die Auffassung, die Musik solle im Zentrum des Konzertbaus stehen – ohne Wenn und Aber.
Neben Gemeinsamkeiten gibt es markante Unterschiede zwischen beiden Bauten. Das Konzept der terrassenförmig angelegten Bereiche („Weinberge“) für die Philharmonie scheint im Kammermusiksaal komprimierter, fast „dramatisch“. Die Reihen und Ränge steigen jäh und steiler an. Im Kammermusiksaal sind die Hörer noch näher am Geschehen dran. Sie sitzen weniger auf gleicher Höhe wie die Musiker auf dem Podium, sondern blicken im Wesentlichen aus unterschiedlichen Positionen auf die Bühne. Die Akustik des Kammermusiksaals ist deutlich sehr empfindlich. Ebenso präzise wie die Musik hört man leider auch störende Geräusche der Besucher.
Der Kammermusiksaal bietet mehr Möglichkeiten der künstlerischen Nutzung. Vor allem kann man die baulichen und akustischen Gegebenheiten musikalisch ausprobieren. Oberhalb der unteren Blöcke (A, B, C) verläuft ein kompletter Umgang („Aktionsring“), der bei Konzerten genutzt werden kann. Außerdem gibt es drei fahrbare Emporen in lichter Höhe. Zu Zeiten des Baus der Philharmonie war ein Konzerthaus ein Gebäude, zu dem vor allem das „Wesentliche“, will heißen der Konzertsaal, die Foyers, Garderoben und Räume für die Musiker gehörten. Ab Mitte der Mitte der 1980er-Jahre wuchs zum Beispiel das nichtkünstlerische Personal der Philharmonie, neue Aufgaben waren zu erfüllen – im Bereich der Leitung des Hauses, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, später dem Marketing und der Kommunikation. Der Architekt trug diesen Erfordernissen schon bei der Planung Rechnung: Hier stehen mehr Funktionsräume für die nichtkünstlerischen Mitarbeiter zur Verfügung, zwei Kellergeschosse bieten Platz für Technik, Werkstätten, aber auch Übungsräume für Studenten der Orchester-Akademie.
Musiker wie Zuhörer wissen auch die kleine Philharmonie zu schätzen. Sie gehört fest zum Ensemble. Das SINFONIE ORCHESTER BERLIN gibt seine Konzerte abwechselnd in der Philharmonie und im Kammermusiksaal. Dass auch größer besetzte Werke noch gut in den „kleinen Saal“ passen, zeigen die nächsten Konzerte: Am Samstag, 20. Februar 2016, dirigiert Stephan Koncz (im Hauptberuf Cellist der Berliner Philharmoniker) ein Konzert mit dem sehr selten zu hörenden Konzert für Violine, Viola und Orchester von Max Bruch sowie Brahms‘ Haydn-Variationen und Zweiter Symphonie. Sein Vater Thomas Koncz dirigiert am Samstag, 5. März, berühmte Konzerte für Holzbläser von Vivaldi und Mozart sowie Werke von Rossini und Mozart. Mit dem Orquestrina Baboràk kommt der ehemalige philharmonische Solohornist Radek Baboràk am 27. Februar mit „Filmmusik – Piazzollas Tango – Boléro“; Klaus Wallendorf (ehemaliger Hornist der Philharmoniker) moderiert den Abend.